Die Corona-Pandemie hat die Medizinprodukte-Branche schlagartig in den Fokus der politischen Diskussion gerückt. Wo sind in den vergangenen Monaten Sollbruchstellen in der Versorgung evident geworden? Was sind die ersten Learnings aus der Krise? Und wie wird sie Gesundheitssystem, Politik und Wirtschaft verändern? Diesen Fragen widmete sich die AUSTROMED, die Interessensvertretung der österreichischen Medizinprodukte-Unternehmen, bei ihren Herbstgesprächen unter dem Titel: „Das Leben hinter der Maske – Wie rüstet sich die Medizinprodukte-Branche für die nächste Pandemie?“ Die AUSTROMED-Herbstgespräche wurden vergangenen Freitag erstmals gestreamt.
Die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, Margarete Schramböck, betonte in einer Videobotschaft die Bedeutung für die Medizinprodukte-Branche für die Bewältigung der Corona-Krise. „Es ist wichtiger, dass wir hier in Österreich mehr produzieren und auch die Forschung weiter vorantreiben“, so Schramböck. Investitionen, wie sie von der Bundesregierung mit der Forschungs- bzw. Investitionsprämie unterstützt werden, machen „den Standort krisenfester und resilienter“.
„Nationale und europäische Resilienz stärken“
Bei der anschließenden Diskussion berichtete Mag. Stefan Eichwalder, Abteilungsleiter im Gesundheits- und Sozialministerium (BMSGPK) und Ansprechpartner für die Beschaffung im Rahmen des Corona-Krisenstabs: „Das Phänomen der Lieferengpässe von Medikamenten und Medizinprodukten gab es schon vor Corona – im Zuge der Krise wurde aber evident, wie volatil die Lieferketten wirklich sind. Selbst innerhalb der EU. Es ist unserem Ministerium ein besonders Anliegen, hier für mehr Stabilität in der Produktion zu sorgen. Das geht aber nur im europäischen Kontext, Österreich alleine ist da zu klein. Es wird außerdem wichtig sein, strategische Lager etwa für wichtige Güter, beispielsweise Atemschutzmasken, vorrätig zu halten und diese rollierend zu bewirtschaften.“
DI Dr. Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin der AGES-Medizinmarktaufsicht, schilderte, wie ihre Behörde plötzlich in eine neue Rolle kam – von der Qualitätskontrolle hin zur Bedarfserhebung. Der Informationsfluss sei dabei angesichts des stark fragmentierten Gesundheitssystems eine Herausforderung, so Wirthumer-Hoche. Man müsse die gesamte Kette durchdenken, das gelte insbesondere für das Thema Impfung: „Es ist gut und schön, wenn wir acht Millionen Impfdosen bekommen. Aber wer kann die notwendigen Nadeln und Spritzen liefern? Das müssen wir uns überlegen, auch gemeinsam mit der Industrie.“ Überlegungen, die Produktion von Medikamenten und Medizinprodukten nach Europa zurückzuholen, habe es auch schon vor der Pandemie gegeben. „Uns muss aber bewusst sein: Das kostet Geld“, sagte Wirthumer-Hoche.
Krise als Wegbereiter für E-Health
Mag. Florian Bachner, Leiter der Abteilung für Gesundheitsökonomie und -systemanalyse der Gesundheit Österreich GmbH, machte darauf aufmerksam, dass in der Krise im Gesundheitssystem viele Dinge, die davor kontrovers diskutiert worden waren, plötzlich möglich wurden: „Denken Sie an
Videokonsultation bei Ärzten oder Krankschreiben via Telefon. Da ist die Krise Wegbereiter für E-Health-Lösungen.“ Das Credo „Testen, testen, testen“ bzw. „test, trace and isolate“ (TTI) gelte nach wie vor, betonte Bachner: „Hier sind wir sehr abhängig von der Industrie. Ein funktionierender Antigentest, der rasch valide Ergebnisse liefert, könnte ein Game Changer sein.“ Insgesamt müssten wir uns noch länger auf ein Leben mit Corona einstellen. „Niemand weiß, wann und in welcher Form eine Impfung kommt.“
Das heißt: Auch die zeitgerechte und hochqualitative Verfügbarkeit von Medizinprodukten bleibt ein großes Thema. Dazu AUSTROMED-Präsident Gerald Gschlössl: „Wir sind als Branche bereit, unseren Beitrag zu leisten, das haben wir 2020 einmal mehr bewiesen. Aber wir brauchen dafür Planungssicherheit und Verbindlichkeiten. Wenn wir unsere Produktion auf mehrere Beine stellen sollen und ein Bein davon in Europa steht, dann müssen wir wegkommen von Beschaffung nach dem Billigstbieterprinzip.“ In der Krise habe er jedenfalls eine gute Vernetzung von Politik, prüfenden Stellen und Unternehmen wahrgenommen, sagte Gschlössl. „Alle haben die Ärmel aufgekrempelt und haben gelernt, wie’s besser geht. Nun ist es an der Zeit, neue Regeln zu schaffen.“
Volkswirtschaftlicher Effekt der Branche: Aus einem Euro werden zwei
Außerdem wurden am Freitag erstmals aktuelle Zahlen zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Medizinprodukte-Branche in Österreich präsentiert, die das Industriewissenschaftliche Institut (IWI) im Auftrag der AUSTROMED erhoben hat. So erzielte die Branche im Jahr 2019 9,1 Milliarden Euro an Umsatz; indirekt – also inklusive Vorleistung, Konsum und Investitionen – lagen die volkswirtschaftlichen Effekte bei 16,7 Milliarden Euro. Das bedeutet: Jeder Euro an Wertschöpfung der Medizinprodukte-Branche generiert knapp einen weiteren Euro an Wertschöpfung in Österreichs Wirtschaft. Darüber hinaus sichert die Branche (direkt und indirekt) etwa 56.000 Arbeitsplätze und leistete 2019 1,4 Milliarden Euro an Steuer- und Sozialabgaben.
Das IWI erhob auch die Stimmungslage in der Branche. Die überwiegende Mehrheit der befragten Unternehmen rechnet mit einem weiteren Anstieg des Kostendrucks im System – und somit einer noch verstärkten Orientierung am Preis in der Beschaffung. Gleichzeitig fühlen sich die Unternehmen gut gerüstet für weitere Digitalisierungsprozesse im Gesundheitssystem und sehen hier großes Potenzial für die Branche. Außerdem rückt das Thema Resilienz etwa im Hinblick auf grenzüberschreitende Versorgungsketten verstärkt in den unternehmerischen Fokus.
„Wir stehen als Branche und als Interessensvertretung selbstverständlich als Partner für die Politik zur Verfügung“, betont AUSTROMED-Präsident Gschlössl. Als Diskussionsgrundlage für Veränderungen in der Versorgung von Medizinprodukten wird die AUSTROMED noch heuer ein „Weißbuch Medizinprodukte“ mit konkreten Forderungen publizieren.