AUSTROMED-Herbstgespräche beleuchteten politische Entscheidungsprozesse in Wien und Brüssel – Spannender Input und Gettogether für Medizinprodukte-Branche und Stakeholder
Unter dem Titel „Diskutieren, Paktieren, Lobbyieren – und dann?“ widmete sich AUSTROMED, die Interessensvertretung der österreichischen Medizinprodukte-Unternehmen, bei ihren Herbstgesprächen gestern, Mittwoch, der Frage, wie politische Entscheidungen zwischen Wien und Brüssel zu Stande kommen – und wie sie sich ganz konkret auf die Patienten auswirken. Anlass dafür sind die EU-Verordnungen über Medizinprodukte (MDR) und In-vitro Diagnostika (IVDR), die Ende Mai 2020 (MDR) bzw. Ende Mai 2022 (IVDR) ihre Gültigkeit erlangen und gravierende Veränderungen für die Branche mit sich bringen.
Lügen verboten
In seiner Keynote lieferte der Politikberater und Autor Thomas Hofer interessante Einblicke in die Mechanismen des Lobbyings. Dabei gehe es zuerst um die professionelle Aufbereitung von Inhalten. „Nehmen Sie sich dabei immer den Grundsatz zu Herzen: Lügen ist verboten! Jede geschönte Zahl und jede verfälschte Statistik holt Sie irgendwann ein.“ Noch wichtiger sei allerdings das Management von Emotionen, so Hofer, und spannte den Bogen über verschiedene Themenbereiche – von internationalen Handelsabkommen über den Klimawandel bis hin zum Nichtraucherschutz. Insbesondere die Einbindung der Betroffenen, bei Medizinprodukten also Patienten, sei dafür entscheidend.
Organisationen, die Lobbying betreiben, müssen sich außerdem laut Hofer folgende Fragen stellen: „Wo ist die relevante Ebene? Wann greife ich ein? Sind Sie in der medialen Wahrnehmung die Guten oder die Bösen?“ Und er empfiehlt permanenten Kontakt mit den Entscheidungsträgern: „Melden Sie sich nicht nur gerade dann, wenn der Hut brennt.“
Die lange Geschichte der Medizinprodukte-Verordnung
In der anschließenden, von Puls-4-Anchorwoman Manuela Raidl moderierten Podiumsdiskussion wurde das Thema Lobbying konkret anhand der EU-Verordnungen sowie deren Implementierung in Österreich diskutiert. Die Diskutanten beleuchteten einerseits nochmal das Zustandekommen der Verordnungen, andererseits wurden die Auswirkungen auf die Medizinprodukte-Branche sowie auf die Versorgungssicherheit in Österreich beleuchtet.
Tanja Valentin, Director External Affairs bei MedTech Europe, verglich die europäischen Strukturen mit jenen in den Mitgliedsländern: „Lobbyismus ist in Brüssel positiv besetzt. Die Strukturen sind anders aufgestellt als in den nationalen Parlamenten. Es gibt zum Beispiel viel weniger wissenschaftliche Dienste. Die Informationsaufbereitung findet daher viel stärker von außen statt.“ Man brauche dabei auch einen sehr langen Atem und müsse im gesamten Prozess am Ball bleiben. Valentin: „Über die Medizinprodukteverordnung diskutieren wir bereits seit 2008. Dabei haben auch die Entscheidungsträger immer wieder gewechselt.“
Hatto Käfer, Wirtschaftspolitischer Berater Binnenmarkt der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, betonte: „Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments und die Mitarbeiter in der Europäischen Kommission sind Profis, sie hören nicht nur eine Seite, sondern alle beteiligten Parteien. Da gibt es auch eine positive Abhängigkeit: Wir greifen auf das riesige Fachwissen in den Verbänden zu.“ Mit den beiden Verordnungen habe die EU auf das gestiegene Informationsbedürfnis der Patienten sowie auf die hohen Anforderungen des Gesundheitssystems an Medizinprodukte und In-vitro Diagnostika reagiert. Weiters sei es ein Anliegen gewesen, klein- und mittelständischen Unternehmen den Zugang zum Binnenmarkt zu erleichtern. „So versucht die Kommission, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Patienten und jenen der Wirtschaft zu schaffen.“ In punkto Übergangsfristen stellte Käfer eine mögliche Verlängerung in Aussicht: „Es wäre nicht die erste Frist, die die EU verlängert hat“, sagte Käfer mit einem Seitenblick auf den Brexit.
„Nacharbeiten“ bei der Medizinprodukte-Verordnung
Silvia Türk, Leiterin der Sektion Gesundheitssystem im BMASGK, betonte, die Patientensicherheit stehe im Zentrum der Medizinprodukteverordnung. Derzeit werde bei der Umsetzung auf europäischer Ebene „nachgearbeitet“, so Türk, dazu werde es in den kommenden zwei bis drei Monaten Entscheidungen geben. „Wir müssen als Gesetzgeber einen Rahmen vorgeben, an den sich alle halten müssen, die Medizinprodukte verwenden. Es muss möglich sein, diesen Rahmen zu kontrollieren, Patientensicherheit gewährleisten und Produkte, die Probleme machen, rasch aus dem Verkehr zu ziehen.“ Selbstverständlich sei der Kontakt zu den entsprechenden Interessensverbänden dabei wichtig.
AUSTROMED-Präsident Gerald Gschlössl wies auf die vielen ungelösten Fragen im Hinblick auf die Medizinprodukte-Verordnung hin, etwa den Mangel an Benannten Stellen, die in Europa die notwendigen Prüfverfahren durchführen. Gleichzeitig sei es nicht im Interesse der Branche, Patienten und Stakeholder zu verunsichern. „Es wäre für uns leicht zu sagen: Diese böse Verordnung hat uns ins Eck getrieben, es gibt keine Produkte mehr. Das tun wir aber nicht. Uns ist auch Standortsicherung und Versorgungssicherheit wichtig. Gleichzeitig ist es uns ein Anliegen, innovative Produkte rasch auf den Markt und in Erstattung zu bringen.“
Für ausreichend Gesprächsstoff war gesorgt beim Networking, mit dem die diesjährigen Herbstgespräche der AUSTROMED im TechGate ausklangen.